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Problème numérique, Digitalisierung für Dummies – die Raupe Nimmersatt und die Unmöglichkeit des Manchen: Print’s not dead!
Gütersloh, 6. März 2023
Die Digitalisierung ist eines der Credos der Zeit. Mit dem Schlachtruf »Westward ho!« wird digitalisiert, was das Zeug hält. Digital ist aber virtuell. Also nicht tatsächlich. Kein Strom – kein gar nichts. Daten weg – alles weg.
Man ist bestrebt, möglichst alles zu digitalisieren, das können aber nur wenige, die meisten nicht, und was das bedeutet, versteht niemand. Selbst »Big Player« sind bestrebt, namhafte Titel nur noch digital (also virtuell) stattfinden zu lassen. Offensichtlich haben sie noch nie von der Medientheorie oder der Neuen Medientheorie gehört – oder sie haben sie nicht verstanden. Es ist tatsächlich nicht leicht zu verstehen, was mit der Epistemologie von Medien gemeint ist und was das bedeutet. Ein Vergleich mit der Wendung »Die Biologie des Waldes« hinkt ein wenig, geht aber in die richtige Richtung.
Dass es mit der Digitalkompetenz gerade in Deutschland nicht weit her ist, ist ein offenes Geheimnis. In anderen Ländern ist es nicht viel besser, teils schlechter. Das meiste erweckt bestenfalls einen falschen Anschein – die Wahrheit lässt sich schnell entlarven. Womit wir beim Thema Raupen wären.
Die Kleine Raupe Nimmersatt
Bis vor einigen Jahren kannte praktisch jeder die Kleine Raupe Nimmersatt. Ein Kinderbuchklassiker, ein Buch, das Kinder sehr spannend fanden. Im Rahmen sinnloser impertistischer Analysen liest man heute, Kinder würden in dem Buch Bla und Blubb lernen (»Kinder entdecken Früchte, Zahlen und die Metamorphose«). Das ist – leider – alles Quatsch. Kinder lernen das alles nicht aus diesem Buch. Sie lernen etwas ganz anderes, etwas viel Abstrakteres. Und das hat mit der Epistemologie der Medien zu tun.
Worum es hier aber geht, ist aber noch etwas ganz anderes – die Unmöglichkeit des Manchen. Und das ist in diesem Fall das, was letztlich die Faszination dieses Kinderbuchklassikers ausmacht: das Loch. Das finden die Kinder am spannendsten an dem Buch. Der Inhalt ist nett, aber letztlich irrelevant beziehungsweise austauschbar. Das Loch ist das Entscheidende. Es hat für Kinder etwas Magisches und Spannendes. Der Inhalt (die Bilder und die Sachinhalte) sind künstlerische und ästhetische Aspekte. Sie sind wichtig und wertvoll, aber an dieser Stelle nicht relevant.
Das digitale Loch
Und nun, lieben Digitalimperten, erklärt: Wie wollt Ihr das Loch digitalisieren? Wie würde wohl ein E Book der Kleinen Raupe Nimmersatt aussehen? Wo bleibt das Loch?
Wahrscheinlich wussten die Schöpfer des Buches gar nicht, was sie kreiert haben. Ohne das Loch wäre das Buch eines von vielen gewesen.
Epistemologie der Medien und die Sesamstraße
Ein flankierenes Beispiel der Problematik, insbesondere in puncto Epistemologie der Medien, ist die Sesamstraße. Sie gilt als lehrreich und deshalb als besonders wertvoll. Auch das ist Quatsch. In Wahrheit ist sie witzig und unterhaltsam per se. Sie ist aber auch deshalb lediglich Unterhaltung, weil im Fernsehen – was eben nicht allzu weit von der Digitalisierung weg ist – alles Unterhaltung ist, denn das (in diesem Fall abstrakte) Medium ist die Botschaft. Und das Riesenproblem mit der Sesamstraße ist, dass Kinder damit berieselt wurden, weil die Sendungen ja ach so pädagogisch wertvoll waren. Man konnte sie guten Gewissens vorm Fernseher parken. Aber leider erwarteten sie dann in der Schule auch Unterhaltung. Sie erwarteten Graf Zahl, Ernie und Bert, das Krümelmonster, Grobi und die anderen Figuren. Und keine blöden Lehrer.
Lernen, suchen und finden
Das soll nicht missverstanden werden – es geht nicht um Spielerisches Lernen. Das ist etwas ganz anderes. Es geht um das Missverständnis, man könne mit Unterhaltung lernen. Das sind aber Gegensätze (Gegensätze ziehen sich an? Nicht, wenn man kein Magnet ist). Unterhaltung ist Unterhaltung, Lernen ist Lernen. Und Lernen ist Arbeit, die freilich Spaß machen kann (wenn man denn die Vorstellung hat, dass Wissen einen Wert hat). Leider wird – und das ist ein weiteres Problem der Digitalisierung – allgemein der Eindruck erweckt, Wissen sei nichts (mehr) wert. Denn man könne ja alles googeln. Das ist eine mehrfache Lüge. Eine dramatische Lüge. Denn erstens kann man das nicht. Vieles findet man gar nicht per Google, weil es »im Internet« gar nicht vorhanden ist. Und zweitens müsste man ja erst einmal wissen, was man nicht weiß (und sucht), zumindest müsste man eine Vorstellung davon haben, was man nicht weiß.
Wissen und nichts wissen
Sokrates soll gesagt haben, er wisse, dass er nichts wisse. Das ist schon semantisch ein Widerspruch in sich und war – wenn es authentisch sein sollte – zweifellos witzig gemeint (nicht ironisch). In jüngerer Zeit nahm man an, es handele sich um einen Übersetzungsfehler oder eine Fehlinterpretation, es hieße in Wahrheit »Ich weiß, dass ich nicht weiß«. Das ist sprachlich allerdings sehr fragwürdig. Und inhaltlich Quatsch. In Erster Näherung (ein Begriff aus der Mathematik) ist es absolut sicher, dass wir alle nichts wissen. Schon der Anteil unseres individuellen Wissens an dem Wissen, was es mit Sicherheit gibt, geht gegen Null. Ganz zu schweigen von den Tatsachen, von denen wir nicht die leiseste Ahnung haben – von Dingen, von denen wir gar nicht wissen (und auch nicht wissen können), dass wir sie nicht wissen.
Information und Alternative Fakten (Lügen)
Davon abgesehen ist Wissen lediglich die Information des Verstandes. Was Wissen (also vermeintliche Information über die Realität) überhaupt zu bedeuten hat, ist relativ unklar. Was schon Watzlawick und andere gepredigt haben. Und dann wäre da noch die Exformation, das Nicht Wissen oder das Pseudowissen, das Antiwissen, die Lüge, die als Wissen getarnt ist. An dieser Stelle ist das Riesenproblem, dass auch Lügen (ebenso wie die Wahrheit) Tatsachen sind. Zwar falsche Tatsachen, aber dennoch Tatsachen. In jüngster Zeit wurde der Begriff von den »Alternativen Fakten« geprägt. »Alternative Fakten« sind Lügen. Sie sind Fakten, also Tatsachen, aber eben falsche Tatsachen. Was nicht damit zu verwechseln ist, dass im Sinne Watzlawicks jeder seine eigene Realität hat. Das bedeutet etwas ganz anderes und berührt eine ganz andere Ebene. Das darf man nicht so missverstehen, dass für jeden beispielsweise das Grün des Grases etwas ganz an anderes ist. Davon ist nicht auszugehen (wobei es eine alte, philosophische Kamelle gibt: »Ist dein Rot auch mein Rot?«). Es gibt den Imperativ der Durchschnittlichkeit – das heißt, dass man davon ausgehen kann, dass die Allermeisten die gleiche Vorstellung von »Grün« haben. Und selbst wenn das nicht so wäre, dann wäre es irrelevant – wie wir sehen. Denn die Realität ist, wie sie ist. Was das letztlich bedeutet, ist unklar. Aber oberflächlich betrachtet sind sich die meisten darüber einig. Und mehr interessiert die meisten auch nicht. Und warum sollte es auch? Es wird ihnen ja gesagt, dass Wissen irrelevant sei (siehe oben).
Precht weiß was
Beispielsweise ist Precht ein starker Rhetoriker und sehr alert – aber wenn er sagt, man müsste nichts wissen, man müsse lediglich wissen, wo man das Wissen findet, dann ist das gefährlicher Nonsens. Ganz davon abgesehen, dass diese Lüge noch nicht einmal auf seinem Mist gewachsen ist. Das haben schon viele andere zuvor gesagt – man kennt sie bloß nicht. Sie sind nicht im Fernsehen aufgetreten. Denn (siehe oben) man muss eben wissen (oder zumindest eine Vorstellung davon haben), was man nicht weiß. Was Precht gesagt hat, trifft lediglich auf Details zu, sofern sie denn im Internet vorhanden sind. Man muss beispielsweise wissen, dass es einen bestimmten Film gibt, am besten kennt man auch den Titel. Welche Schauspieler dabei sind, muss man natürlich nicht wissen – das lässt sich problemlos googeln. Aber wenn man von dem Film gar nicht weiß, dann wüsste man nicht, was man googeln sollte. Man würde es gar nicht erst versuchen. Warum auch? Es gäbe gar keinen Anlass. Das wäre also völlig absurd. Und deshalb ist Prechts Aussage eben absoluter, gefährlicher Quatsch. Zumindest müsste man sie anders formulieren.
Bear Grylls
Davon abgesehen: Erfahrung kann man nicht googeln, die muss man machen. Man kann beispielsweise auch per Google nicht Chirurg werden. Oder TIschler. Oder alles mögliche. Nicht zuletzt eben deshalb, weil das »DIgitale« eben virtuell ist. Schlechterdings kann man digital Digitales lernen, was aber (irgendwie) so etwas wie ein logischer Zirkelschluss ist. Dazu ein kleines Beispiel: Wenn man sich in einer abgelegenen Weltgegen im Urwald verläuft (was zugegebenermaßen wenig wahrscheinlich ist), dann helfen einem der beste Social Media Experte, der beste Programmierer, aber auch der überzeugteste Veganer, Genderexperte und Klimaschützer überhaupt nichts. Dann hilft einem der mit dem Schweizer Taschenmesser, dem Feuerzeug und dem Wissen und der Erfahrung, wie man in der Wildnis überlebt. Konkret hilft einem dann Bear Grylls. Wer sonst? Und selbst Bear Grylls ist in Erster Linie eine Fernsehfigur. Womit sich (irgendwie) der Kreis schließt.
Die kleine Raupe Nimmersatt
Auch kleine Raupen können großen Hunger haben. Deshalb macht sich die Raupe Nimmersatt auf die Suche nach etwas zu essen – und wird fündig. Sie frisst sich von Montag bis Sonntag Seite für Seite durch einen Berg von Leckereien, bis sie endlich satt ist. Nun ist die Zeit gekommen, sich einen Kokon zu bauen, und nach zwei Wochen des Wartens schlüpft aus ihm ein wunderschöner Schmetterling.
Die Kleinsten spielen mit der Kleinen Raupe Nimmersatt, indem sie ihre Fingerchen durch die gestanzten Raupenfraßlöcher stecken. Etwas größere Kinder entdecken mit ihr die Wochentage, Früchte, Zahlen und die Metamorphose in der Natur. Und jeder liebt ihre geheime Hoffnungsbotschaft, die ihr Schöpfer Eric Carle so beschreibt: »Ich kann auch groß werden. Ich kann meine Flügel (meine Talente) auch ausbreiten und in die Welt fliegen.«
Die kleine Raupe Nimmersatt besticht nicht zuletzt durch ihre farbenfrohen collageartigen Illustrationen und ihre besondere Ausstattung mit zum Teil verkürzten Seiten und Lochstanzungen. Seit Jahrzehnten ist sie ein Klassiker der Kinderliteratur und mit über 50 Millionen Exemplaren eines der meistverkauften Bilderbücher der Welt. Die große Pappausgabe dieses Kinderbuchklassikers ist durch die hohe Stabilität und Griffigkeit besonders gut für kleine Kinderhände geeignet.
Eric Carle
Eric Carle, der Schöpfer der unermüdlichen kleinen Raupe Nimmersatt, wurde 1929 in Syracuse, New York, geboren. Seine Schul- und Studienzeit verbrachte er in Deutschland und kehrte 1952 in die USA zurück. Seit 1968 veröffentlichte er über 70 Kinderbücher, die in 80 Sprachen übersetzt sind und mit vielen Preisen ausgezeichnet wurden. Mit seiner Frau Bobbie gründete er ein großes Museum für internationale Bilderbuchkunst, The Eric Carle Museum of Picture Book Art in Amherst, Massachusetts, das 2002 eröffnet wurde. Eric Carle starb 2021 in Northampton, Massachusetts.