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»Als Person bist Du mehr als Deine Diagnose«, Interview mit Prof. Dr. Meinolf Noeker zum Jubiläum der LandschaftsverbändeZoom Button

Prof. Dr. Meinolf Noeker, Krankenhausdezernent des Landschaftsverbandes Westfalen Lippe (LWL). Foto: LWL, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber

»Als Person bist Du mehr als Deine Diagnose«, Interview mit Prof. Dr. Meinolf Noeker zum Jubiläum der Landschaftsverbände

»Als Person bist Du mehr als Deine Diagnose«, Interview mit Prof. Dr. Meinolf Noeker zum Jubiläum der Landschaftsverbände

Münster, Köln, 12. Juni 2023

Die beiden #Landschaftsverbände in #NRW werden 70 Jahre alt. Ein Überblick über die Geschichte des LWL und wie sich Verantwortliche die Zukunft vorstellen, ist im Internet zu finden, mehr

Prof. Dr. Meinolf Noeker ist #Krankenhausdezernent des Landschaftsverbandes Westfalen Lippe (LWL). Rund 6.000 Betten und Therapieplätze sind im #LWL #Psychiatrieverbund organisiert, dessen Chef Noeker ist. Im Interview spricht er über die Zukunft der Psychiatrie.

Herr Noeker, was ist der wichtigste Unterschied zwischen der Psychiatrie heute und der vor 70 Jahren?

Die größte Errungenschaft ist für mich, dass der psychisch kranke Mensch als #Bürger mit seinen unverbrüchlichen Menschenrechten in der Gesellschaft angekommen ist. Es gilt der Rechtsstaat, auch wenn freiheitseinschränkende Maßnahmen zum Schutz nötig sind.

Und es gibt einen kulturellen, ja zivilisatorischen Fortschritt: Wir grenzen psychisch krank und psychisch gesund nicht mehr wie Schwarz und Weiß voneinander ab. Wir gestehen uns heute ein: Jeder Mensch ist ein verletzliches Wesen. Jeder kann in Überforderung, in eine Krise geraten bis hin zum Vollbild einer psychischen Störung. Die Akzeptanz dieser Einsicht schafft Mitgefühl. Denn ich weiß: Was mein labiles, verzweifeltes Gegenüber gerade durchlebt, kann morgen auch mich erwischen.

Und früher?

Wenn jemand in den 1950er Jahren als verrückt galt, dann hatte er im damaligen Verständnis im Grunde seine bürgerlichen Rechte verwirkt. Sicher, auch in überfüllten #Bettensälen zeigten viele #Pflegekräfte dem kranken Menschen gegenüber ein ehrliches Mitgefühl. Aber die Fürsorge hatte immer ein demütigendes Gefälle von oben nach unten. Im Kern war es Fremdbestimmung bis hin zur Willkür. Frei nach dem Motto: Wir wissen schon, was gut für dich ist und das ziehen wir durch, denn du bist nicht zurechnungsfähig und dein Wille zählt nicht.

Heute sind wir auf der Suche nach den gesunden Anteilen und dem unauslöschlichen Restbestand an Selbstbestimmung, egal wie krank die Person im Moment wirkt. Das ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Am Ende geht es um den Auftrag aus Artikel 1 des Grundgesetzes, die #Würde.

Wie schlägt sich der Unterschied im Alltag der Behandlung heute nieder?

Wir zielen auf Partnerschaft mit Augenhöhe: Wir bringen unsere professionelle Kompetenz ein und die Patient:innen ihre Werte, ihre Wünsche, ihren Plan vom Glück. Gemeinsam kommen wir zu einer Entscheidung für einen Behandlungsplan und die Schritte zur Umsetzung. Wir ziehen an einem Strang. Du bist zwar krank, aber als Person bist Du mehr als Deine #Diagnose. Außerdem haben wir große Fortschritte bei der #Psychotherapie zu verzeichnen. Sie wird immer wichtiger. Die Besserungsraten können gut mit der somatischen #Medizin mithalten.

Hat sich auch das Bild der Psychiatrie insgesamt gewandelt?

Ja, früher mussten die Menschen leider zu Recht Angst haben, dass #Psychiatrie in der Not am Ende ein Wegsperren für Monate oder Jahre bedeuten konnte. Krankheit mündete in Hospitalisierung. #Hospitalisierung brach die Brücken für die Rückkehr in das normale Leben ab. Die #Entlass #Chancen schwanden, die #Krankheit verschlechterte sich weiter. Heute dauert eine Behandlung in einer unserer Kliniken im Durchschnitt etwa 3 Wochen.

Wo sind die dunklen Flecken in der Geschichte der westfälischen Psychiatrie?

Die tiefdunklen Kapitel der Nazizeit weisen noch weit über 1945 hinaus: Es gab personelle Kontinuitäten, eine Aufarbeitung erfolgte erst ab den 1970er Jahren. Auch unsere Kliniken waren nach dem Krieg wohl noch das, was man totale Institutionen nennt. Wir haben gemeinsam mit dem LWL-Institut für Regionalgeschichte an vielen Standorten Aufarbeitung geleistet. Erinnerungskultur bleibt wichtig, nicht zuletzt für die Ausbildung und Sensibilisierung unseres Nachwuchses.

Wie sieht die Zukunft der Psychiatrie aus: Heilung aus dem Internet? #Telemedizin statt Klinikaufenthalt?

Telemedizin ist für mich die Fortsetzung eines lebensnahen Ansatzes, den wir schon vor drei Jahrzehnten erfolgreich mit unseren Tageskliniken eingeführt haben: Wir behandeln nicht nur eine Patientin, sondern ihr gesamtes Umfeld. Deswegen geht die Patientin abends aus der #Tagesklinik nach Hause und kann sehen, ob die #Therapie nicht nur in der Klinik wirkt, sondern auch in ihrem richtigen Leben. Das kann auch als Telemedizin funktionieren: Eine Kombination aus klassischer Therapie face to face, videogestützter Therapie und digitalen Gesundheitsanwendungen. Neudeutsch heißt dies »Blended Therapy«. Das hat Zukunft.

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