Haushaltsplan 2022: »Dem Druck auf die Schuldenbremse entkommt man nur durch Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen«
Fast 100 Milliarden Euro neue Schulden plant Finanzminister Olaf Scholz im Haushaltsplan für das kommende Jahr ein – um Corona-geschädigten Unternehmen zu helfen, Impfstoffe zu beschaffen und geringere Steuereinnahmen auszugleichen. Das sind längst nicht die einzigen großen Ausgaben, die in den kommenden Jahren nötig werden. Ohne eine Öffnung der Schuldenbremse wird man nicht zurechtkommen.
Die Finanzpolitik der nächsten Dekade steht aus mehreren Gründen unter Druck. Erstens sind die Corona-Schulden zu tilgen: Das kann und sollte so organisiert werden, dass dadurch weder Steuern erhöht noch Ausgaben gekürzt werden. Eine langfristige Tilgung über beispielsweise 40 Jahre würde hier genug Luft verschaffen.
Zweitens konkurrieren mehrere große Posten um jeden eingenommenen Steuer-Euro: Der Anteil der Verteidigungsausgaben dürfte Nato-konform von derzeit 1,5 auf zwei Prozent des BIP steigen. Die zurecht geforderte Übernahme der EEG-Umlage kostet den Haushalt rund 25 Milliarden Euro. Zudem steigen alterungsbedingt die Zuschüsse an die Rentenversicherung – ganz besonders, wenn die CSU im Herbst weitere acht Milliarden Euro für die Mütterrente durchsetzt und ansonsten keine Strukturreformen angegangen werden. Es gibt keine Anzeichen, dass dafür der politische Mut reichen wird.
Drittens verlangt ein erfolgreicher Strukturwandel für Klimaneutralität massive staatliche Vorleistungsinvestitionen in alle Infrastrukturnetze.
Viertens ist die sogenannte »goldene Dekade« am Arbeitsmarkt zu Ende, bis 2030 verlieren wir alterungsbedingt vier Millionen Erwerbspersonen. Ein einfaches Herauswachsen aus den Schulden wird deshalb – anders als nach der Finanzkrise 2009 – nicht gelingen, zumal die Produktivität nicht einfach so nach oben springt; die Zuwächse sind seit drei Jahrzehnten in allen Industrieländern im Sinkflug.
Schon ohne Steuersenkungen – die für Unternehmen und im Mittelschichtsbauch der Einkommensteuer geboten sind und beim Soli kommen werden – geht das alles nicht mit einem sturen Festhalten an der Schuldenbremse. Eine Öffnung für eine kluge Tilgung der Corona-Schulden und für einen Investitionsfonds mit eigener Rechtsperson wird zu den Kompromissen jeder neuen Bundesregierung gehören müssen. Ansonsten wird es nichts mit dem gewünschten Strukturwandel. Es muss auch niemand Angst haben, dass die öffentlichen Finanzen dadurch aus dem Ruder laufen. Im Gegenteil: Ein Bundesinfrastrukturfonds (oder Deutschlandfonds) macht transparent und nachvollziehbar, was aus den politisch längst definierten Zielen für den Strukturwandel zu leisten ist.