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Guantanamo: Ehemaliger US-Militärangehöriger gesteht öffentlich Folter

Hamburg (ots) Mehrere frühere US-Militärangehörige haben in Fernsehinterviews mit dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) eingeräumt, einen Insassen im Gefangenenlager Guantanamo misshandelt zu haben. Einer von ihnen räumte die Einordnung als »Folter« ein. Dies ist das weltweit erste öffentliche Geständnis von Folter in Guantanamo. Bislang hatten sich die Vernehmerinnen und Vernehmer des »Special Project Teams« in Guantanamo nur in internen Anhörungen zu ihren Methoden geäußert. Dabei hatten sie nie von Folter gesprochen. In den Fernsehinterviews, rund 18 Jahre nach den Ereignissen, schildern sie detailliert, wie sie den Mauretanier Mohamedou Ould Slahi misshandelten. Grundlage der Interviews waren gemeinsame Recherchen des NDR und der Wochenzeitung »Die Zeit«. Mohamedou Ould Slahi galt für US-Ermittlerinnen und -Ermittler lange als zentraler Hintermann der Attentate vom 11. September 2001. Er war einer von zwei deutschsprachigen Gefangenen in Guantanamo.

»Seine Angst war absolut. Er dachte wahrscheinlich, dass er gleich getötet wird«. So beschreibt ein Ex-Mitarbeiter des »Special Project Teams«, der sich »Mister X« nennt und außer in Guantanamo auch in Afghanistan und im Irak tätig war, sein Opfer. Die Identität von »Mister X«, der nicht mit Klarnamen genannt werden möchte, ist dem NDR bekannt. In den Interviews spricht »Mister X« zunächst von »robusten Techniken« (»enhanced techniques«), die heute illegal seien. Auf Nachfrage räumt das ehemalige Mitglied des US-Vernehmungsteams dann aber ein: »Das war Folter«. Auch andere Wärter hätten gefoltert, einmal habe sein Opfer eine blutige Nase, aufgeplatzte und geschwollene Lippen und Augen gehabt.

Das Opfer der Folter, Mohamedou Ould Slahi, das heute in Mauretanien lebt, schildert in Interviews mit dem NDR die Vorgänge deckungsgleich. Ein Peiniger habe ihm immer wieder Eimer mit kaltem Wasser über den Körper gegossen, um ihn zum Reden zu bringen. »Ich sollte ein Geständnis ablegen, aber selbst, wenn ich etwas zu sagen gehabt hätte, hätte ich nicht mehr sprechen können. Ich war schon zu unterkühlt. Dieser Mann hat mich zweimal fast umgebracht«, berichtet der heute 51-jährige Slahi.

Slahi war 1988 als Stipendiat der Carl Duisburg Gesellschaft aus Mauretanien nach Deutschland gekommen. Während seines Studiums schloss er sich freiwillig den Mujahadeen in Afghanistan an, die damals mit Hilfe der USA gegen die von der Sowjetunion unterstützte afghanische Regierung kämpften. Mehrere Monate war er in einem Ausbildungslager des späteren Al-Qaida-Führers Osama bin Laden. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland brach er – nach eigener Aussage – seine Kontakte zu Al-Qaida ab, hatte aber weiterhin Kontakt zu Freunden in der islamistischen Szene. Slahi wurde von den USA nach Guantanamo entführt und in dem umstrittenen Lager von 2002 bis 2016 gefangen gehalten. Das US-Verteidigungsministerium warf ihm vor, drei der vier beteiligten Todespiloten im Auftrag von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden rekrutiert zu haben. Das mündete aber nie in einer Anklage oder einem regulären Gerichtsverfahren. Nachdem sowohl die US-Militärjustiz als auch die Geheimdienste zu der Überzeugung gelangten, dass gegen Slahi keine Beweise vorlagen, ließ die US-Regierung ihn 2016 frei.

Slahi hatte seine Unschuld stets beteuert. Zu einem vermeintlichen Geständnis kam es erst, als der Leiter des »Special Projects Teams«, ein Polizeikommissar aus Chicago namens Richard Zuley, die Verhörmethoden änderte. Auch mit ihm sprachen der investigative NDR Journalist John Goetz und sein Team. In den Interviews berichtet Zuley, er habe Slahi 2003 ein Schreiben präsentiert, das wie ein offizieller Brief des US-Außenministeriums ausgesehen habe und so eine offizielle Drohung vortäuschte. Darin habe gestanden, dass Verwandte von Slahi, auch seine Mutter, ebenfalls gefangen genommen werden sollten, wenn Slahi die Fragen der Vernehmungsbeamten nicht beantworten sollte. Das Schreiben legte nahe, dass Slahis Mutter nach Guantanamo gebracht und dort männlichen Insassen überlassen werden könnte. Zuley schildert in NDR Interviews den Erfolg seiner vorgetäuschten Vergewaltigungsandrohung: »Ich beobachtete ihn, wie seine Augen die vier der fünf Absätze des Schreibens überflogen. Ich sah, wie sich Tränen in seinen Augen bildeten und über sein Gesicht strömten.« Danach habe Slahi jede Menge Informationen geliefert, die angeblich das Innenleben der Terrororganisation Al-Qaida beschrieben.

Der große, wenn auch zweifelhafte Erfolg des US-Vernehmers wurde allerdings wenige Monate danach zunichte gemacht, als ein offizieller Lügendetektor-Test der US-Amerikaner zeigte, dass Slahis »Geständnis« nach der Vergewaltigungsandrohung wesentlich aus falschen Informationen bestand. Auch eine Wiederholung dieses Testes bestätigte den Befund.

Eine Analystin des »Special Projects Teams«, die Slahi ausgiebig befragte, bestätigte, die »speziellen Vernehmungsmethoden« seien im Falle Slahi vom damaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld persönlich genehmigt worden. Sie selbst habe in Guantanamo empfohlen, den Mauretanier von den übrigen Gefangenen zu isolieren, was dann auch geschah. Außerdem habe sie beobachtet, wie Slahi von anderen Wärtern geschlagen wurde.

»Was man mit Slahi gemacht hat, war Folter«, räumt der ehemalige US-Militärstaatsanwalt Stuart Couch ein, der im Fall Slahi ermittelte. Couch, der heute als Richter arbeitet, sagt, die Aussagen hätten sich vor Gericht ohnehin nicht verwenden lassen, weil sie illegal zustande gekommen seien.

Heute blicken die Mitglieder des US-Vernehmungsteams unterschiedlich auf ihre Tätigkeit in Guantanamo zurück. Während »Mister X« Bedauern über seine Gewalttaten gegen Slahi äußert und diese als »falsch« bezeichnet, beharrt der ehemalige Teamleiter Richard Zuley darauf, dass die Methoden angemessen gewesen seien. »Unsere Aufgabe war es, an verborgene Informationen zu kommen, um einen weiteren möglichen Terroranschlag auf die USA zu verhindern«, meint Zuley. Auch die frühere Analystin des »Special Projects Teams« rechtfertigt das Vorgehen bis heute: »Immerhin hat Slahi 14 Jahre in Guantanamo gesessen. Das ist mehr als nichts. […] Aber genug war es nicht«. Auf die Nachfrage, was »genug« gewesen wäre, antwortete die ehemalige Regierungsangestellte: »Der Tod. Er hätte mit seinem Leben büßen müssen«. Ein Wärter sagt heute dagegen: »Ich kann mich nicht für die Regierung entschuldigen. Das geht nicht. Aber ich selbst kann darum bitten, mir zu vergeben«.

Über das Schicksal von Mohamedou Ould Slahi und das Foltergeständnis berichtet »Das Erste« am Donnerstag, 2. September 2021, um 21.45 Uhr in »Panorama«. Die weiteren Formate zu der Recherche - neben dem aktuellen Dossier der »Zeit« vom 2. September 2021 …

Film »Slahi und seine Folterer«, 52-minütige Fassung: ab Donnerstag, 2. September 2021, 6 Uhr, auf »ARTE.tv« und in der ARD-Mediathek; Dienstag, 7. September 2021, 21.50 Uhr, »Arte« (im Rahmen des Schwerpunkts »20 Jahre 9/11«), 90-minütige Fassung: ab Mittwoch, 8. September 2021, 21.40 Uhr, in der ARD-Mediathek; Dienstag, 14. September 2021, 22.50 Uhr, »Das Erste«

»Slahi – 14 Jahre Guantanamo« – zwölfteiliger Podcast von Bastian Berbner mit John Goetz, Folge Eins bis Vier sind bereits online, Folge Fünf bis Zwölf ab 2. September 2021, 19 Uhr, in der ARD-Audiothek; seit Sonntag, 22. August 2021, auf »NDR Info« in »Das Feature«

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