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Wie lässt sich eine Gesellschaft ohne Wachstum denken? Die Gruppenausstellung »Nimmersatt?« in Münster nimmt die Zukunft in den Blick
Münster (lwl. Die Ausstellung »Nimmersatt? Gesellschaft ohne Wachstum denken« vom 27. November bis zum 27. Februar 2022 eröffnet am Freitag, 26. November 2021, in Münster. Mit einer Kooperation nehmen die Kunsthalle Münster, das LWL-Museum für Kunst und Kultur und der Westfälische Kunstverein den Einfluss menschlichen Handelns auf die Umwelt in den Blick.
An drei Orten in Münster fragen insgesamt 25 internationale Künstler:innen mit Werken in unterschiedlichen Medien, was in Zukunft an die Stelle bisheriger Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle treten könnte. Am Eröffnungstag sprechen Experten und Künstler in drei Gesprächsrunden über Themen wie Verantwortung, Überfluss oder Kapital. Der Eintritt ist an diesem Tag von 10 bis 22 Uhr an allen drei Orten frei.
Die rund 30 künstlerischen Arbeiten der Ausstellung nehmen Bezug auf aktuelle Krisen, soziale Ungleichheit, Klimaveränderung, Krankheit, Krieg, Fluchtbewegungen, Fremdenhass und damit einhergehende Entwicklungen. Die Werke hinterfragen, welche anderen Optionen jenseits des Wachstums bestehen.
Wachstum sei endlich und baue auf sozialer Ungleichheit sowie der Ausbeutung von Mensch und Umwelt auf, so die Kuratorinnen Merle Radtke (Kunsthalle Münster, Kristina Scepanski (Westfälischer Kunstverein und Marianne Wagner (LWL-Museum für Kunst und Kultur. Dies mache es erforderlich, bestehende Denkmuster zu verlassen, sich vom angewöhnten Verhalten zu lösen und den Glaubenssatz vom 'Immer-mehr und Immer-weiter' zur Diskussion zu stellen.
In der Ausstellung werden Videoinstallationen, Zeichnungen, Fotografien und Skulpturen sowie Arbeiten im öffentlichen Raum gezeigt. Neben einer Reihe von Leihgaben präsentieren die Häuser mehrere Neuproduktionen, die im Dialog mit den Kuratorinnen entstanden sind und erstmals gezeigt werden.
LWL-Direktor Matthias Löb: »In der Ausstellung wird ein, wenn nicht sogar das Thema unserer Zeit aufgegriffen. Kunst will dabei nicht fertige Antworten liefern, sie kann aber gewohnte Seh- und Denkweisen aufbrechen und unseren Geist frei machen, Zukunft neu zu denken.«
Erstmalig organisieren die drei Häuser ein gemeinsames Ausstellungsprojekt zusammen. Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster, sieht in der Kooperation die Stärke des Projektes: »Da wir den Problemen unserer Gegenwart nur gemeinsam begegnen können, freut es mich sehr, dass sich mit der Kunsthalle Münster, dem LWL-Museum für Kunst und Kultur und dem Westfälischen Kunstverein drei bedeutende Institutionen für Gegenwartskunst zusammengeschlossen haben, um gemeinsam der Frage nachzugehen, wie wir in Zukunft leben möchten.«
Das Ausstellungsprojekt wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, die Kunststiftung NRW, die Art Mentor Foundation Lucerne, und Trampoline, Association in support of the French Art Scene.
Werke und Themen
In der Kunsthalle Münster thematisiert die amerikanisch-libanesische Künstlerin Marwa Arsanios, geboren 1978, in ihrer Video-Trilogie »Who Is Afraid of Ideology?« (2017, 2019, 2020 Bodennutzungsrechte und Saatgut. Die Kuratorin Merle Radtke richtet mit Arsanios' Filmen den Blick auf Initiativen im Irak, Nordsyrien und Kolumbien: »Die Künstlerin zeigt, wie Frauen Recht auf Land einfordern und sich mit dem Streben nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit auf unvermittelte Weise mit der Natur verbinden. Die Trilogie schlägt beispielsweise mit der Idee der lokalen Stärkung einen Weg vor, die Diskussion um Saatgut und dessen Besitz nicht in die Hände transnationaler Konzerne zu legen.«
Ein weiteres in der Kunsthalle Münster ausgestelltes Werk ist die raumgreifende Installation »Comrades in Extinction« (2021 von Radha D’Souza, geboren 1953, und Jonas Staal, geboren 1981. Die Arbeit ist im Zusammenhang mit dem »Court for Intergenerational Climate Crimes« (Gerichtshof für generationsübergreifende Klimaverbrechen entstanden. Die Autorin, Anwältin und Aktivistin und der bildende Künstler verleihen so jenen nicht-menschlichen Akteuren eine Stimme, die keine mehr haben. Die dargestellten Tiere sind Opfer der Verbrechen von Staaten und transnationalen Unternehmen, Zeug:innen eines Kapitalismus, der sich auf Ausbeutung und Umweltzerstörung gründet.
Der beninische Künstler Georges Adéagbo, geboren 1942, stellt im LWL-Museum für Kunst und Kultur in seiner neuproduzierten Installation konkrete Bezüge zu Münster her. Dazu bringt er gefundene Objekte und Tafelbilder, die er bei Kunstmaler:innen in Benin in Auftrag gibt, in einen Dialog mit Gegenständen aus lokalen Trödelläden in Münster. »Die hergestellten Beziehungen der Artefakte veranschaulichen einen kulturellen Austausch«, so Kuratorin Marianne Wagner, »und plädieren für die Anerkennung unterschiedlicher kultureller Wurzeln anstelle von Hoheitsansprüchen des Globalen Nordens. Adéagbos Arbeit ist auch ein Vorschlag, voneinander zu lernen und klischeehafte Vorstellungen und Hierarchien zugunsten eines gleichwertigen Miteinanders aufzulösen.«
Mit ihrer Skulptur und Performance schafft die tschechische Künstlerin Eva Koťátková, geboren 1982, einen Raum, in dem Empathie eine zentrale Rolle spielt: Sie sei eine Kraft, durch die Menschen handeln und die Welt verstehen können, so Wagner. Während der Ausstellungszeit aktivieren Performer die Arbeit mehrmals und entwickeln sie weiter.
Vor dem Eingang des Westfälischen Kunstvereins rückt eine Skulptur aus Plastikcontainern der französischen Künstlerin Anita Molinero, geboren 1953, den Umgang mit sowie die Kreisläufe von Rohstoffen in den Fokus. »Nicht die traditionell mit dem Erscheinungsbild von Skulpturen verbundenen Materialien wie Marmor oder Bronze sind die Stoffe, die für das 21. Jahrhundert stehen«, so Kuratorin Kristina Scepanski, »vielmehr ist es der Müll. Stehen die einen für eine Wertschätzung der Langlebigkeit, ist gerade diese Eigenschaften bei Müll, Industrieprodukten und synthetisch erzeugten Materialien höchst problematisch.«
Eigens für die Ausstellung entwickelt die Künstlerin Anna McCarthy, geboren 1981, die Installation »The Human Fountain«. Das Werk widmet sich dem Motiv des »Gipfelbezwingers«- wortwörtlich wie metaphorisch – und setzt den menschlichen Größenwahn ins Verhältnis mit der Natur und der Zeit.
Neben Kuratorinnenführungen und Angeboten der Kunstvermittlung begleitet ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm die Ausstellung. In einer Reading Group besprechen die Teilnehmer verschiedene politische Theorien aus Bereichen wie Feminismus, Marxismus oder Konservativismus sowie Überlegungen zur Ökologie. Die Gesprächsreihe »Less is More. Architektur des positiven Verzichts« des Bundes deutscher Architektinnen und Architekten (BDA als auch die »Filmgespräche« bieten Raum für Diskussionen und Austausch mit Experten.
Für den Ausstellungsbesuch und die Teilnahme am Begleitprogramm gilt Maskenpflicht und die 2G-Regelung.
Die begleitende Publikation (24 Euro mit Beiträgen von Priya Basil, Agnes Denes, Raul Walch, Tim Rieniets, Irmi Seidl & Angelika Zahrnt und anderen erscheint im Distanz Verlag. Der Book Launch findet am 16. Dezember 2021 im Anschluss an die Veranstaltung »Reading Group« (18 bis 20 Uhr im Westfälischen Kunstverein statt.
Künstler der Ausstellung
Kunsthalle Münster
LWL-Museum für Kunst und Kultur
Westfälischer Kunstverein
Öffentlicher Raum
Eröffnungstag
26. November 2021, 16 bis 22 Uhr, Eintritt frei
16 Uhr, Kunsthalle Münster, von Kreisläufen, Monopolen und Verantwortung, Begrüßung Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster, Andreas Siekmann, Künstler im Gespräch mit Merle Radtke, Leiterin Kunsthalle Münster
18 Uhr, LWL-Museum für Kunst und Kultur, Erzählungen »Kapitalfluss – Überfluss – Endlichkeit«, Begrüßung Matthias Löb, LWL-Direktor, Alice Creischer, Künstlerin, Andreas Löschel, Ressourcenökonom, im Gespräch mit Marianne Wagner, Kuratorin LWL-Museum für Kunst und Kultur
20 Uhr, Westfälischer Kunstverein, »Die Realität übersteigt die Fiktion«, Begrüßung Tobias Viehoff, Vorstandsvorsitzender Westfälischer Kunstverein, Raphael Smarzoch, Autor und Journalist, Miriam Zeh, Literaturkritikerin im Gespräch mit Kristina Scepanski, Direktorin Westfälischer Kunstverein