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»La Bohème«, Giacomo Puccini, Theater Bielefeld

»La Bohème«, Giacomo Puccini, Theater Bielefeld

  • Oper in vier Bildern, Text von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica nach Szenen aus dem Roman »Scènes de la vie de bohème« von Henri Murger, reduzierte Orchester fassung von Gerardo Colella, In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln, Musikalische Leitung Alexander Kalajdzic, Inszenierung Julia Burbach, Bühne und Kostüme Cécile Trémolières, Dramaturgie Anne Christine Oppermann, Choreinstudierung Hagen Enke, Mit Dušica Bijelic, Nenad Cica, Cornelie Isenbürger, Tae-Woon Jung, Yoshiaki Kimura, Caio Monteiro, Moon Soo Park, Dumitru-Bogdan Sandu, Frank Dolphin Wong, Bielefelder Opernchor, Extrachor des Theaters Bielefeld, JunOs, Statisterie des Theaters Bielefeld, Bielefelder Philharmoniker

Wie viel Elend erträgt die Kunst? Der Dichter Rodolfo und seine Freunde haben ihr Leben der Kunst verschrieben, auch wenn schon einmal der neueste Dramenentwurf anstelle von Feuerholz ihr Pariser Atelier wärmen muss und der Hunger ein steter Begleiter ist. Umso überschäumender die Freude, wenn es einem von ihnen gelingt, Nahrungsmittel oder Geld aufzutreiben. An einem Heiligabend ist das Glück ihnen hold und die Lebenskünstler brechen auf, um das frisch ergatterte Geld im Quartier Latin wieder unter die Leute zu bringen. Nur Rodolfo bleibt pflichtbewusst zurück, um noch einen Artikel zu beenden – und findet an diesem Abend die große Liebe in Gestalt seiner Nachbarin Mimì. Doch jenseits aller Poesie, Lebenslust und Liebe lauern nicht nur Hunger und Kälte, sondern auch Krankheit und Tod.

Giacomo Puccini kannte die prekären Lebensumstände unbekannter Kulturschaffender nur allzu gut, hatte er doch in jungen Jahren ebenso gehungert und – wie Rodolfo – auch einige seiner Manuskripte verbrennen müssen, um die unerträgliche Kälte zu vertreiben. Kein Wunder also, dass er sich bei den Charakteren von Henri Murgers Scènes de la vie de bohème sofort wie unter Freunden fühlte und beschloss, aus diesem Roman eine Oper entstehen zu lassen. Neben diesem fesselnd realistischen Bild der Subkultur der Pariser Bohème schuf Puccini ein bewegendes melodisches Porträt des Seelenlebens und der existentiellen Nöte seiner Protagonisten – und eine der ergreifendsten Schlussszenen der Opernliteratur, die selbst den Komponisten zu Tränen gerührt haben soll. Treffender als Thomas Mann im Zauberberg kann man die Wirkung der Musik von La Bohème wohl nicht fassen: »Und Zärtlicheres gab es auf Erden nicht …«

Auch wenn die Oper bei der Uraufführung in Turin zunächst ein verhaltenen-kritisches Echo fand, war Puccinis Meisterwerk langfristig ein unglaublicher Erfolg beschieden: Lückenlos reicht die Aufführungstradition von der Uraufführung am 1. Februar 1896 bis heute, noch dazu gehört La Boheme zu den am häufigsten aufgeführten Opern weltweit. Wer könnte sich auch dem Reiz eines so lyrischen Anbahnungsversuchs wie Rodolfos »Che gelida manina«, Mimìs bescheidenem Selbstporträt »Mi chiamano Mimì« oder dem vor Selbstbewusstsein strotzenden Walzer Musettas »Quando m’en vò« entziehen?

Der scharfe Kontrast von überschäumender Lebensfreude und banger Todeserwar tung prägt die Handlung und die Inszenierung. Von Beginn an ist Mimì von Krank heit gezeichnet, auch wenn es ihr gelingt, das Wissen darum bewusst oder unbe wusst zurückzudrängen. Für diese Gleichzeitigkeit des ultimativen Gegensatzes von Leben und Tod haben die Regisseurin Julia Burbach und ihre Ausstatterin Cécile Trémolières eine Welt voll magischem Realismus erfunden, die sich ganz aus dem inneren Erleben Mimìs speist. Reales, Erträumtes und Erinnertes überlagern und ergänzen sich, beleuchten schlaglichtartig Mimìs Sicht auf die Dinge und transzendieren das elende wie verheißungsvolle Paris der Jahrhundertwende. Die unerwartete, heftige Liebe zu Rodolfo gewährt Mimì eine Ausflucht, das verrückt-exaltierte Bohemien-Leben mit seinen Freunden verspricht ihr ein bisher unbekanntes Delirium, in dem sie Vergnügen und Vergessen sucht. Doch ein heimlich belauschtes Gespräch Rodolfos stellt ihr die Wahrheit wieder unverhüllt vor Augen: Sie wird sterben. Vergleichbar der Funktionsweise menschlicher Erinnerung verdichtet die Oper Mimìs Lebensweg auf die wichtigsten Stationen – das Kennenlernen, die überwältigenden ersten Momente als Paar sowie die schmerzhafte Erkenntnis, sich trennen zu müssen. An diesen Situationen darf nicht nur das Publikum teilhaben, sondern sie rasen im Sterben auch noch einmal wie im Zeitraffer an Mimì vorbei, wie Puccini selbst sagte, ist der »ganze letzte Akt aus logischen Erinnerungsmotiven aufgebaut«. Das Wissen um die eigene Vergänglichkeit gehört zum Alltag und überhöht ihn zugleich.

Der lebensfrohen und doch todgeweihten Mimì verleiht Dušica Bijelić ihre Stimme. Mit einer der wohl bekanntesten Tenorarien des Repertoires stellt sich Nenad Čiča erstmals in Bielefeld vor und erobert als Rodolfo Mimìs Herz im Sturm. Eine leidenschaftliche On-Off-Beziehung verbindet Rodolfos Freund, den Maler Marcello (Frank Dolphin Wong) mit Musetta (Cornelie Isenbürger). Belustigt verfolgen die übrigen Mitglieder der Bohème-Clique, der Musiker Schaunard (Caio Monteiro) und der Philosoph Colline (Moon Soo Park) das Drama um das Paar, das nicht mit und nicht ohne einander sein kann. So gewitzt wie Musetta es schafft, sich andere Liebhaber wie beispielsweise den alten Alcindoro (Tae-Woon Jung) vom Hals zu schaffen, wenn sie erneut für Marcello entbrennt, schaffen es auch die Künstler, ihren Vermieter Benoît, gespielt von Yoshiaki Kimura, aus der Wohnung zu werfen, bevor er an Heiligabend die Miete eintreiben kann. Weihnachtliche Vorfreude erfüllt auch die Kinderaugen der JunOs, wenn sie den Spielzeugverkäufer Parpignol (Dumitru-Bogdan Sandu) kommen hören. Und auch der Bielefelder Opernchor, der Extrachor und die Statisterie werfen sich voller Inbrunst in das Pariser Weihnachtsgetümmel.

Musikalische Leitung

Alexander Kalajdzic, geboren in Zagreb, Kroatien, begann seine musikalische Ausbildung mit sechs Jahren und gab ab dem achten Lebensjahr regelmäßig Konzerte als Pianist. Er gewann mehrere Preise bei Bundeswettbewerben und setzte anschließend sein Studium an der Musikhochschule in Wien fort, wo er die Dirigierklasse von Karl Österreicher mit Auszeichnung absolvierte. Darüber hinaus studierte er Klavier, Viola und Korrepetition. Schon während des Studiums dirigierte er Symphoniekonzerte mit den Zagreber Philharmonikern sowie dem Orchester des Kroatischen Rundfunks.

Sein beruflicher Weg führte ihn nach Krefeld-Mönchengladbach, wo er als Korrepetitor mit Dirigierverpflichtung erste Theatererfahrungen sammelte. Danach war er als Kapellmeister in München, als erster Dirigent des Nationaltheaters Weimar und von 2008 bis 2010 als 1. Kapellmeister am Nationaltheater Mannheim tätig, wo er sich ein großes Repertoire erarbeiten konnte. Er gastierte unter anderem in den USA, Mexiko, Südafrika, Italien, Frankreich, in der Schweiz und in Tschechien. Alexander Kalajdzic ist sowohl in der Oper als auch im Konzertbereich gefragt. Sein Repertoire reicht vom frühen Barock bis zur Moderne, wobei sein besonderes Interesse der französischen Musik gilt. So führte er fast das gesamte Orchesterwerk von Ravel und Debussy mehrmals auf. Auch war er lange Zeit als Liedbegleiter und Kammermusiker aktiv und hatte bis vor kurzem einen Lehrstuhl für Orchestererziehung in Zagreb inne. Alexander Kalajdzic leitet als GMD seit Spielzeitbeginn 2010/11 die musikalischen Geschicke des Theaters Bielefeld und der Bielefelder Philharmoniker.

Inszenierung

Julia Burbach, geboren in Tokyo und international aufgewachsen, hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen in Opernkreisen gemacht. Bei den International Opera Awards 2019 wurde sie in der Kategorie des »Best Newcomer« nominiert. Ihre Produktion, »The Rape of Lucretia«, gewann den 2019 OFFIE Award in London.

Während ihrer Ausbildung am University College London, wo sie ihren B. A. in Geschichte und Kunstgeschichte und ihren MSc in International Public Policy abschloss, besuchte sie eine Performing Arts School mit dem Schwerpunkt Tanz. Während ihrer Studienzeit beim University College London entstanden ihre ersten Choreografie-und Regiearbeiten. Weitere Regiearbeiten zeigte sie dann im Londoner West End/Off West End und Edinburgh Fringe Festival und arbeitete beim Film als Assistentin, Script-Editor und Line-Producer. Sie besuchte die National Film and Television School mit einem Fokus auf Dokumentarfilm und drehte einige Kurzfilme.

Die erste Begegnung mit der Oper ergab sich als Hospitantin an der Bayerischen Staatsoper in München für die Christof Loy Produktion Die Bassariden. Anschließend war sie Assistentin und dann Wiederaufnahme-Regisseurin bei Loy, hat ihn bei vielen Produktionen begleitet und diverse seiner Arbeiten einstudiert, wie Tristan und Isolde und Ariadne auf Naxos (Royal Opera House). Neben Loy als wichtigsten Einfluss hat sie zwischenzeitlich mit vielen anderen Regisseuren wie Richard Jones, David McVicar, Claus Guth, Tobias Kratzer etc. an zahlreichen weiteren Häusern wie Bunka Kaikan Tokyo, Liceu Barcelona, Teatro Real Madrid, Deutsche Oper Berlin, Staatsoper unter den Linden Berlin, Deutsche Oper am Rhein, Oper Leipzig, Theater an der Wien, Houston Grand Opera und Bregenzer Festspiele gearbeitet. Sie hat zahlreiche internationale Wiederaufnahmen geleitet und hat eine enge Beziehung zu dem Royal Opera House in London, wo sie Resident Staff Director war.

In letzter Zeit entstandene Arbeiten sind »Die Walküre«, Hackney Empire, London, »Edmea«, Wexford Opera Festival, Irland, »L’amico Fritz«, Opera Holland Park, »Das Wundertheater«, Badisches Staatstheater Karlsruhe, »Semele«, Shanghai International Arts Festival, »Die Walküre«, Opéra National de Bordeaux, »Das Rheingold«, Grimeborn Festival, Nominierung 2020 OFFIE, »The Rape of Lucretia«, Grimeborn Festival, Gewinner 2019 OFFIE, »Tosca«, Grimeborn Festival und Celebrate Voice Festival, Salisbury, »Madama Butterfly«, Grimeborn Festival und Bury Court Opera, »The Fairy Queen«, Bury Court Opera und Kiez Oper, »Wilde Renate«, Berlin, und »Il trionfo del tempo«, Kiez Opera Alte Münze, Berlin.

Bühne und Kostüme

Cécile Trémolières ist eine preisgekrönte französisch-britische Bühnen- und Kostümbildnerin. Sie wurde am Wimbledon College of Arts (London) ausgebildet und schloss 2013 mit einem First-Class-Abschluss ab. Zusammen mit dem Regisseur Gerard Jones gewann sie den 10. Europäischen Opernregiepreis 2018. Sie war eine Linbury-Finalistin (2013) und eine Jerwood Young Designer (2017).

Cécile Trémolièresʼ Arbeiten wurden auf der World Stage Design-Ausstellung 2017 in Taipeh, auf der Prager Quadriennale 2015 als Teil des britischen Pavillons und in der V & A-Ausstellung Make/Believe, UK, Design for Performance 2011 bis 2015 ausgestellt.

Ihre Arbeiten für Schauspiel umfassen: »Histoire(s) de France«, Tourneeproduktion innerhalb Frankreichs, »Un qui veut traverser«, La Colline, Frankreich, »Wuthering Heights«, Royal Exchange Theatre, Großbritannien, »Midnight Movie, Hole«, Royal-Court, Großbritannien, »The Crucible, This Beautiful Future, Mikvah Project«, The Yard, Großbritannien, »Midsummer«, Edinburgh International Festival, Großbritannien, »Suzy Stork«, Gate Theatre, Großbritannien. Im Bereich Oper hat sie unter anderem folgende Produktionen ausgestattet: »Edmea«, Wexford Opera Festival, »Manon«, Staatstheater Mainz, »Code Noir«, Opéra de Massy, sowie »La Tragédie de Carmen«, Royal Opera House Linbury.

Premiere Samstag, 29. Januar 2022, 19.30 Uhr, weitere Termine am 6. und 26. Februar 2022, Stadttheater Bielefeld, Besetzung Mimi Rodolfo Musetta, Marcello Schaunard, Coline Benoit, Alcindoro Parpignol, Dušica Bijelić, Nenad Čiča, Cornelie Isenbürger Frank Dolphin Wong Caio Monteiro, Moon Soo Park Yoshiaki Kimura Tae-Woon Jung Dumitru-Bogdan Sandu, www.theater-bielefeld.de

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