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Die ökologische Krise mit der drohenden Selbstzerstörung menschlicher Zivilisation hat eine Ursache: das reduktionistisch-wissenschaftlich-technische Weltbild, denn es bildet die Grundlage der Ausnutzung der Natur als Warenlager. Vor diesem Hintergrund präsentiert Mathias Bröckers eine Überraschung: Goethes Weltanschauung als mögliche Lösung. Das Fragment über die Natur, das als Kondensat der Naturauffassung Goethes gilt, bildet den Ausgangspunkt und die immer wiederkehrende Referenz seiner Überlegungen. Für Bröckers ist Goethe Pionier »einer neuartigen Wissenschaftskonzeption und Erkenntnisweise, deren Wert und Bedeutung erst zwei Jahrhunderte später deutlich wird.« Was hat es damit auf sich?
Bröckers sieht Goethe im Kontext traditionellen Weisheitsdenkens (etwa der Hermetik) aber auch in Bezug zur modernen #Gaia Theorie von James Lovelock und Lynn Margulis (deren Buch »Der symbiotische Planet« demnächst in unserem Shop bestellbar ist) sowie aktueller Philosophen wie Humberto Maturana oder Bruno Latour. Im Zentrum steht dabei Goethes Philosophie des Lebendigen, die Bröckers gerade am Gegenbild des reduktionistischen Neo-Darwinismus verdeutlicht. Dessen Verkürzung der Evolution auf das Prinzip von zufälliger Mutation und Selektion stellt er aber nicht die Rückkehr zu einer göttergleich-gelenkten Schöpfung gegenüber, sondern eine Evolution durch »organisierende Geister«, die den Wesen innewohnen und sie zu symbiotischen und immer komplexeren Formen zusammenkommen lassen. In dieser evolutionären Perspektive wirft der Autor übrigens auch einen spannenden Blick in die Ära der frühesten Bakterien, durch deren Aktivität in den Ur-Meeren einst die Grundlagen einer lebensfördernden Atmosphäre gelegt wurden – Tatsachen, die Goethe so noch nicht kannte, die der Autor aber mit dessen Augen zu interpretieren versucht und ihn so erstaunlich aktuell wirken lässt.
Auch in Bezug auf die heute meist belächelte Farbenlehre ist Bröckers überzeugt, dass es lohne, »sich an Goethes naturwissenschaftlichen Forschungen ein Beispiel zu nehmen«. Er verdeutlicht dazu die Einseitigkeit der Newtonschen Farbauffassung und zeigt außerdem, wie die Erfindung der Polaroid-Fotografie Goethes Farbenlehre auf praktische Weise bestätigt hat.
Wie Bröckers das Buch mit Goethes Natur Fragment beginnen lässt, so stellt er an sein Ende einen längeren Text von Rudolf Steiner aus dessen Goethe Studien. Darin schlüsselt Steiner nicht nur die Überlieferungsgeschichte des Fragments auf, sondern skizziert auch die darin schon enthaltenen Ideen zur Geologie und zur Metamorphose der Pflanzen, ganz nach dem Motto Goethes: »Wie irgend jemand über einen gewissen Fall denke, wird man nur erst recht einsehen, wenn man weiß, wie er überhaupt gesinnt ist.«
Bröckers hat ein kleines, aber wichtiges Buch vorgelegt, das mit der hohen Wertschätzung Goethes als Wissenschaftler überrascht und so ein deutliches Signal für einen nötigen Bewusstseinswandel setzt.
Mathias Bröckers, »Newtons Gespenst und Goethes Polaroid«, über die Natur, 2019, 128 Seiten, gebunden