Gegen Angst kann man so vernünftig anreden wie man will, es nützt nichts. Die Lösung ist einfach. Bild: MindTV AG, Informationen zu Creative Commons (CC) Lizenzen, für Pressemeldungen ist der Herausgeber verantwortlich, die Quelle ist der Herausgeber
Wie entsteht Angst? Die Mechanismen von Gehirn und Unbewusstem
Wer kennt jemanden, der jemanden kennt, der Angst vor etwas völlig Ulkigem hat? Zum Beispiel Angst vor Schwangeren. Oder Angst vor Katzen. Kaum nachzuvollziehen. Was aber viele nachvollziehen können ist die Angst vor Spinnen. »Obwohl – mein Vater konnte das überhaupt nicht nachvollziehen und hat mir die größten, ekligsten Exemplare, die sich ins Haus verirrt hatten, immer von ganz nah zeigen wollen. Weil die sind ja harmlos und hoch interessant anzusehen. Super Aktion. Ich habe mich schreiend unter der Bettdecke verkrochen. Damals war ich so etwa 12 Jahre alt.«
»Warum habe ich so reagiert?«
»Zum einen war mir schon klar, wenn ich in einem ruhigen Moment darüber nachdachte, dass diese Spinne harmlos ist, ich zigfach größer bin als sie, ich sie einfach töten könnte, sie weder giftig noch bissig ist.«
Solche Weisheiten, wie generell alles Überlegtes und Schlaues, entstammen unserem Großhirn, genauer gesagt dem präfrontalen Cortex. Nennen wir es einfach »Professoren #Gehirn«.
»Aber dieses Wissen nützte mir nichts, sobald ich so eine Spinne sah. Da war es dann aus mit ›ruhiger Moment‹ und ›nachdenken‹. Da ist einfach eine riesen Panik aktiviert worden und mit mir war nicht mehr vernünftig zu reden. Bis mein Vater dieses Monster rausgebracht hatte. Denn töten durfte er sie natürlich nicht, ich war und bin ja tierlieb!«
Was passiert da?
»Ganz einfach, mein Stammhirn hat übernommen. Sobald wir Gefahr – lassen Sie mich präzisieren – Lebensgefahr wahrnehmen, springen jahrtausendealte Überlebensmechanismen an. Die beschränkte Auswahlmöglichkeiten lauten: Kampf, Flucht, Erstarrung. Und da unser Professoren-Gehirn zwar super schlau ist, aber echt langsam im Verarbeiten von Informationen, wird es in solchen Momenten einfach nicht befragt. Schließlich geht es ums Überleben, da ist jede Millisekunde entscheidend. Override des präfrontalen Cortex ist angesagt!«
Blitzschnelles Reagieren und wie auf Autopilot sein, dafür ist das Stammhirn verantwortlich. Es wird auch Reptiliengehirn oder Echsengehirn genannt, da wir diesen Teil des Gehirns mit den – genau – Echsen gemein haben. Echsen gab es schon vor den Dinosauriern, die auch schon ein paar Tage passé sind. »Was ich sagen will: Echsen sind echte Überlebenskünstler, wenn auch nicht besonders helle im Kopf.«
Harmlose Spinne gleich Lebensgefahr?
Wenn das »Professoren Gehirn« doch weiß, dass hier weit und breit keine Lebensgefahr ist, warum wird das Stammhirn getriggert?
Weil es irgendwann in seiner Geschichte – also in der Lebensgeschichte seines »Besitzers« – etwas falsch verknüpft hat. »Wenn ich mit Kindern arbeite, sage ich hier gerne, dass die Echse irgendwann mal was falsch verstanden hat und deswegen jetzt total über reagiert.«
Was könnte das gewesen sein? Vielleicht hat das Kind als Kleinkind seine Mutter beobachtet, wie diese panisch auf ein Insekt reagierte und deswegen abgespeichert: Krabbeltier gleich »total gefährlich«. Manchmal hat das, was sich im Heute als Angst vor Spinnen zeigt, ursprünglich nichts mit Spinnen zu tun. Die Angst kommt aus Ecke 1, der Ekel aus Erlebnis 2, die Hilflosigkeit von Erinnerung 3. Das Echsengehirn hat dann das Ganze etwas vorschnell mit Spinnen verknüpft. Und schon haben wir den Salat.
»Was war bei mir das Echsen Missverständnis? Ich weiß es nicht. Ich bin dieser Sache nie auf den Grund gegangen. Irgendwann, als junge Erwachsene, war ich von mir selber und meinen Reaktionen so genervt, dass ich beschlossen habe, keine Angst mehr zu haben. Ich mag die großen fetten Spinnen heute immer noch nicht, fange sie aber entspannt mit einem Glas. Und bevor ich sie rausbringe, schaue ich sie mir genau an – denn interessant sind sie ja schon!«
»Was habe ich damals intuitiv richtig gemacht? Der ›Trick‹ hatte ja funktioniert.«
Wie erwähnt hat in Momenten der Panik die Echse die Oberhand. Das Professorengehirn ist abgemeldet, wird nicht mal ansatzweise involviert. Es geht um das reine Überleben. Auch wenn das, objektiv betrachtet, völliger Quatsch ist.
Der Schlüssel zum Erfolg ist der Echse verständlich zu machen, dass sie über reagiert. Dass sie da etwas falsch verstanden hat.
»Damit meine ich nicht, dass man seinem Kind nachmittags sagt, dass es abends im Bett keine Angst zu haben braucht, weil wir, die Eltern, ja im Wohnzimmer sitzen. Nutzt nix. Das Kind wird trotzdem im Hellen schlafen oder gleich ins Elternbett umziehen wollen. Worte und Erklärungen sind nutzlos. Warum? Weil unser Unterbewusstsein, in dem die Echse gerne lebt, nichts mit Worten anfangen kann. Das Unbewusste funktioniert über Bilder oder zum Beispiel auch Gerüche.«
Wer fühlst sich plötzlich wieder wie 5, wenn er unerwartet den Duft von Kohlsuppe wahrnimmt, die Oma immer gekocht hat? »Genau! Ich auch.«
Wir halten fest: Das Unterbewusstsein und die Echse brauchen Bilder.
Bei manchen Kindern löst der Anblick einer Spitze Panik aus und sie rennen weg, bis Mutter und Ärztin sie stoppen. Die Echse reagiert mit Flucht.
Bei anderen Kindern wird die Echse durch ein einfaches »Nein« der Eltern getriggert und sie rasten komplett aus. Die Echse reagiert mit Kampf.
Wiederum andere sitzen an ihrer Klassenarbeit, der Kopf ist leer, der Blick meist auch und das Papier erst recht. Die Echse reagiert mit Erstarrung.
Kampf und Flucht sind aktive Reaktionen, Erstarrung eine passive. Erstarrung bedeutet Resignation und Aufgeben, im übertragenen Sinne »dann töte mich halt«. Es dürfen sich also alle Eltern freuen, deren Kinder toben oder weglaufen.
»In der Praxis zum Beispiel lasse ich die Klientn die Augen schließen und Bilder und Szenen visualisieren. Die Klient:in kann beobachten, wann genau und aus welchem Grund die Echse plötzlich aufwacht. Es wird neu verhandelt. Es geht darum der Echse zu zeigen, dass hinter der Tür nur der Bademantel hängt, der überhaupt nicht gefährlich ist sondern super kuschelig. Dass so eine Klassenarbeit zwar lästig ist, aber nicht (lebens)gefährlich. Mensch und Echse schaffen es so, die Dinge wieder ins rechte Licht zu rücken, Sicherheit und Klarheit zu schaffen.«
»Wir testen in der Sitzung viele verschiedenen Situationen um sicher zu stellen, dass die Echse gelassen bleibt. Die Echse muss das Neue erleben, nicht nur von dem tollen, logischen Konzept hören. Sie muss sehen, hören, riechen, spüren, dass alles sicher ist.«
»Zum Glück kann das Unbewusste nicht unterscheiden, ob der Film der gerade läuft und die Bilder, die es gerade sieht, real sind oder imaginiert. Das Unterbewusstsein empfängt Bilder, die zusammen mit dem neuen Gefühl der Sicherheit verbunden werden. Es wir kein Alarm ausgelöst, die Echse wird gar nicht erst wach, sondern pennt weiter. Bis tatsächlich eine echte Gefahr auftaucht und sie mit ihrer blitzschnellen Reaktionen ihren Menschen davor schützt, zum Beispiel überfahren zu werden oder einen Ball an den Kopf zu bekommen.«
»Die Echse ist einfach unserer bester Freund!«